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Heimat als ein Dorf
Performance in der St. Nikolaus-Kirche Kornhochheim, (s.a. Texte)
März 2009

Was bedeutet Heimat?
Was bedeutet Leben in einem Dorf heute? Auf zahlreichen Spaziergängen ließ ich mich im Sommer 2008/Winter 2009 intuitiv durch den Heimatraum des kleinen Dorfes Kornhochheim treiben. Dabei gelangte ich an verschiedenste Orte und Unorte – an Schnittstellen von Vertrautem und Fremdem. Solche Begegnungen, oft Begegnungen mit der Leere, der Abwesenheit schildern vierzig Briefe an das Dorf. Mit „Liebes Dorf“ sprechen sie eine kollektive Heimat an, als wäre die Geschichte, Gegenwart und Zukunft dieses Ortes ein lebendiges, sich ständig entwickelndes und wandelndes Wesen. Es ist ein einseitiger Dialog mit der Fremde – mit dem Unbekannten. Jeder einzelne Bewohner ist darin ein charakteristisches doch fragmentarisches Element dieser traumartig unbewussten Gestalt von Orten, Menschen, Dingen und Lebensräumen.
Der relativ isolierten Lebensweise im Einfamilienhaus im Neubaugebiet steht der jahrhundertealte Siedlungskern mit den Stammfamilien gegenüber. Dem Gewerbegebiet stehen die Landwirtschaft und Gartenanlagen gegenüber, der traditionellen Heumiete die asphaltierte Straße neben der Wiese… Subtile alltägliche Kontraste wie diese sind nur Beispiele von vielen. Der Klang der Kirchturmuhr von St. Nikolaus breitet sich als pulsierender Herzschlag über den gesamten Siedlungsraum aus - als wäre das Dorf ein uralter lebendiger Organismus. Dazwischen lagern sich unsagbare Dinge an. Eigene Gedanken, Gefühle, Interpretationen, Sehnsüchte – Bilder die im Inneren fließen zerrissen zwischen „heiler Welt“ und Anonymität – doch seltsam leer und taub wie in einem subtilen Schlaf versunken. Inhomogene Facetten wie diese stellen mir Fragen - Fragen aus der scheinbar vertrauten, alltäglichen Welt der „Heimat als ein Dorf“.
Diese Frage schildern die Briefe die an intuitiv ausgewählte Hausadressen in Kornhochheim verschickt wurden.
Wie mag es wohl sein einen Brief aus der Fremde geschickt zu bekommen? Welche Gefühle entstehen beim Öffnen des Briefumschlags und beim Entziffern der handgeschriebenen Buchstaben eines Unbekannten? Was ist das für eine Welt darin? Warum ich?
Wenig später erhielten alle Briefempfänger eine Einladung zu einer Performance in der St. Nikolaus Kirche – dem alten Zentrum des Dorfes. Dort entdeckten sie, dass sie nicht allein Post bekommen hatten. Briefe wie Familienfotos eines kollektiven Wesens aufgereiht auf den wartenden Sitzbänken. Ein Unbekannter trägt Auszüge daraus vor, als wären es vergessene Geschichten während er zu improvisierten Mundharmonikaklängen seine Wege in ein Sandbild Kornhochheims einzeichnet und kleine tönerne Häuser, Autos, Bäume und Lebewesen einfügt. Ein seltsam vertrauter Spielplatz – Sinnbild einer persönlich angeeigneten „Heimat als am Dorf“.
Am Ende steht er auf und verlässt beim Klang der Taufglocke den Raum. Auf seinem Rücken das eingeschlagene Sandbild mit seinen Wegen und Begegnungen in ein Bündel gehüllt.

Die Idee dieses Projektes führte zur Entstehung eines Workshops zum Thema „Heimat als ein Dorf“ mit den Bewohnern Kornhochheims und Neudietendorfs in Zusammenarbeit mit dem Frauen- und Familienzentrum „KRÜGEREI“ Neudietendorf.