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rato
Performance, Roman (s.a. Texte)
Weimar, Mai 2001 - Juli 2007

Sehnsucht nach der Ferne? Sehnsucht nach Ursprünglichkeit? Sehnsucht nach den hohen schneebedeckten Bergen am Ende der Welt? Sehnsucht nach Shangri-La? Sehnsucht nach einem anderen Ich…? Ist es möglich die Grenzen der eigenen Welt hinter sich zu lassen und in eine fremde Kultur einzutauchen? Wie soll man das Wahrhaftige in einer fremden Welt in sich selbst spüren können? Läuft das Fremde nicht immer davon, wenn man es zu verstehen versucht?
Robert Brabast hat wie viele vor ihm eine solche Reise gewagt. Ein Unternehmen das von vornherein das Scheitern in sich zu tragen scheint. Durch Zufall gelangte er als Teilnehmer einer wissenschaftlichen Forschungsexpedition in einen der abgelegensten und einsamsten Winkel der Welt. Im westlichen Himalaya Nepals begegnete er einem fremden Universum. Auf wochenlangen autarken Fußmärschen im höchsten Gebirge der Welt traf er auf Menschen die aus einer längst vergangenen mittelalterlichen Zeit entsprungen zu sein schienen. Die surreale, fordernde Landschaft veränderte auch das vertraute Gefüge seine Expeditionsmannschaft, so dass gewohnte „mitgebrachte“ Verhaltensweisen und Ansichten archaischen Gefühlen und Konflikten weichen mussten. Robert spürte etwas völlig Unerwartetes: etwas aus seinem verborgenen Selbst erwachte vom unsichtbaren Schlaf der Gewohnheit und verband seine Seele für immer mit diesem „echten und unbarmherzigen Shangri-La“ – so dass nach dieser Reise nichts in seinem Leben blieb wie es war.
Über Jahre hinweg quälte ihn das Verlangen nach dem in den Felsen der Ferne gefangenen Stück seines Selbst. Als er endlich nach Nepal zurückkehrte bemerkte er wie sehr sich seine fremde Heimat im Wandel befindet. Der Tourismus und die damit verbundene Globalisierung konfrontierten ihn mit einer „seltsam vertrauten Fratze“. Die verhassten Elemente seiner eigenen westlichen Wirklichkeit schienen den herrlichen, essentiellen Traum seines Shangri-La in Scherben zerbrechen zu lassen.
Doch was sollte er tun? Zulassen konnte er dies nicht, da somit auch seine eigene Identität verschwinden würde. Er hatte keine Wahl. Er marschierte immer weiter hinauf in Richtung Mount Everest – den Berg den die Ureinwohner Chomolungma „Göttin des Universums“ nennen und seit Jahrhunderten mit Erfurcht und Demut begegneten – bis die weißen Bergsteiger und Touristen mit ihren Idealen zu ihnen vordrangen. Der Weg hinauf wird für ihn zu einer Begegnung mit seiner eigenen erwachten und zunehmend sich verselbständigenden Wirklichkeit, die beide – rationell westliche und idealisierte nepalesisch-fremde Elemente – derart miteinander verwebt, dass für ihn verschiedene Realitäten authentisch ineinander übergehen. Als ob er durch ein Labyrinth aus Eistunneln in der Tiefe des kriechenden Gletscherstromes immer weiter bergauf irrt an die Grenzen der eigenen Vorstellung.
Oben angekommen steht er allein am Grat zwischen den Welten. In seinem Rücken die westliche Herkunft mit der Idee des Mount Everest als höchsten Berg der Welt in den Fotoapparaten seiner Begleiter. Doch vor ihm, auf der anderen Seite der eisigen Schlucht des Ngozumpa-Gletschers ragt in gewaltigster Dimension der rote Berg der erhabenen Fremde in das Weltall – jenseits aller Vorstellung. Rot wie die Götterbilder Nepals – rot wie Chomolungma…
Robert kann nicht mehr zurück. Er verschwindet.

Die Performance im Oberlichtsaal des Van de Velde-Baus in Weimar versuchte das Gefühl der Fremde Roberts von den Gipfeln des Himalayas ins Publikum zu bringen. Gleich seiner visionären Reise durch die einsamen Gletschertunnel irrten die beiden Facetten seines Selbst in Form der Akteure Rainer Fischer und Sebastian Brandt durch die Anwesenden. Dabei bewegten sie sich versunken in einen pendelnd annähernden Dialog auf einander zu. Dabei verrann rotes Pigment des rato-Berges durch ihre Finger welches Robert vom Gipfel eingesammelt hatte. Vor der Silhouette des rato-Berges trafen sich die Beiden und erkannten einander – erkannten, dass sie nichts weiter sind als das Produkt ihrer eigenen gegenseitigen Vorstellungen und Sehnsüchte. Gemeinsam entleerten sie dann ihre Vorräte des roten Pigments und erschufen somit inmitten der zahlreichen Zuschauer den roten Berg und somit den Ort der Begegnung.

„Heimkehr


ich bin anders
hab ich mir erzählt
nicht getraut es Dir zu sagen
weil die Worte es nicht sprechen können
weil die Gedanken es nicht begreifen
sie fließen wie die Zeit dahin
hinfort in ferne, warme Gärten

in bunte Pakete verpackt
die duften nach dem Glück
schick ich all meine Gesichter fort
die aus feuerroten Blumen steigen
siehst Du sie unterm kühlen Wasser blühen
gleich lodernden Flammen in den Tränen
die funkeln auf den Scherben unserer Träume“